Bis zur Entdeckung des mittelassyrischen Archivs im Gebäude P am Westhang der Zitadelle von Tall Šēḫ Ḥamad war der Ort nicht identifiziert. Er galt auch nicht als heißer Kandidat für eine Identifizierung mit der aus den assyrischen Annalen bekannten Stadt Dūr-Katlimmu. Die historische Geographie hatte diese Stadt bis dahin eher auf dem rechten Ufer und wesentlich weiter nördlich gesucht (zum Beispiel in Šaddada: R. Dussaud, „Topographie Historique de la Syrie antique et Médiévale“, 1927, 487). Deshalb war es 1977/1978 eine echte Sensation, als die mittelassyrischen Texte des 13. Jahrhunderts v. Chr. aus Tall Šēḫ Ḥamad eine Identifikation dieses Ortes mit der assyrischen Stadt Dūr-Katlimmu nahe legten, die inzwischen zur Gewissheit geworden ist. Zugleich waren diese Dokumente älter als der bis dahin bekannte älteste Beleg für die Erwähnung der Stadt Dūr-Katlimmu im „Broken Obelisk“, der dem König Aššur-bēl-kala (1074-1057 v.Chr.) zugeschrieben wird. Diese Erkenntnisse setzten einen neuen Diskurs über die historische Geographie des Ḫābūr-Gebietes in Gang, die bis heute anhält.
Als gesichert darf inzwischen gelten, dass der Ort Dūr-Katlimmu im 7. Jahrhundert v.Chr. den aramäischen Zweitnamen ‚Magdalu’ erhielt (Kühne/Luther 1998, Z. Bibliog. Nr. 115; Radner 2002 Nr. 10, Z. Bibliog. Nr. 150), der dann in griechischen und lateinischen Dokumenten in der Form Magdala bis in nachchristliche Zeit belegt ist.
Den Texten zufolge war die Stadt Dur-Katlimmu im 13. Jahrh. Zentrum einer Provinz (paḫutum), Sitz eines Gouverneurs (bēl pahēte) sowie Sitz eines Großwesirs (SUKKAL GAL), der von hier aus die Geschicke des Westreiches regelte. Diesen multifunktionalen Auftrag hatte sie wahrscheinlich seit Salmanassar I., der den Tempel des Stadtgottes Salmānu von Dūr-Katlimmu gründete, dessen Name als theophores Element in den Thronnamen von fünf assyrischen Königen übernommen wurde. Die Stadt nahm daher zweifellos die Funktion eines ‚Zentralen Ortes’ war, wenngleich ein Siedlungssystem für diese Zeit noch nicht nachgewiesen werden kann.
Ein sehr wahrscheinlich bei Dūr-Katlimmu endendes regionales Bewässerungssystem sicherte die Subsistenzgrundlage der Stadt ab. Texte, Keramik und Tonsicherungen lassen ein strikt organisiertes und standardisiertes Wirtschaftssystem erkennen. Die politisch-militärische Bedeutung der Stadt lag einerseits in der Sicherung der Südflanke des mittelassyrischen Reiches und andererseits in der Plattform, die der Ort für eine Befriedung Ḫanigalbats bot. Die Stärkung der Infrastruktur des Reiches wird durch die Einrichtung einer direkten Verkehrsverbindung nach dem 200 km entfernten Assur, nachweisbar an der Wegstation Tell Umm Aqrebe im Wādī Aǧiǧ, unterstrichen.
Seit Beginn des achten Jahrhundert v.Chr. machte sich der Strukturwandel des Neuassyrischen Reiches mit der Erweiterung des assyrischen Kernlandes auch in Dūr-Katlimmu folgenreich bemerkbar. Die Bedeutung der Stadt lag nunmehr in ihrer Funktion als Garnisonsstadt; sie beherbergte militärische Eliteeinheiten (Wagentruppen) und Spezialeinheiten des Nachrichtendienstes (Radner 2002, Z. Bibliog. Nr. 115). Die damit einhergehende soziale Aufwertung drückt sich in den Residenzen der Unterstadt II aus. Gleichzeit erhielt die Stadt mit der Erschließung des Aǧiǧ-Gebietes (Bernbeck 1993, Z. Bibliog. Nr. 72) ein Hinterland und war nun der Zentrale Ort eines vierschichtigen Siedlungssystems (Kühne 1995, Z. Bibliog. Nr. 79) mit entsprechenden Verwaltungs- und Wirtschaftsfunktionen. Der regionale Kanal und die rekonstruierten Umweltbedingungen lassen insbesondere für das Hinterland den Schluss zu, dass Dūr-Katlimmu eine Kornkammer war. Eine zu erwartende Funktion Dūr-Katlimmus als Provinzhauptstadt ist bisher nicht nachweisbar.
Aus der Besiedelung in der nachassyrischen Zeit darf abgeleitet werden, dass die gesamte Fläche der Stadt Dūr-Katlimmu / Magdalu bewohnt war. Dies setzt voraus, dass das wirtschaftliche Hinterland im Aǧiǧ-Gebiet in der Abhängigkeit zu Dūr-Katlimmu verblieb. Auf dieser intakten wirtschaftlichen Grundlage konnte die Stadt weiter prosperieren. Einzig die Verbindung zu den assyrischen Reichszentren war stark reduziert aber zumindest zu Assur nicht völlig unterbrochen.
In dieser Zeit lag der Ort zunächst im Grenzraum zum seleukidischen und später zum römischen Reich, in dem sich diese beiden Mächte umfangreiche kriegerische Auseinandersetzungen mit den Parthern lieferten. Im 2. Jh.n.Chr. gerät der Ort in die Einflusssphäre und Abhängigkeit des Königreiches von Hatra. Ab der späten römischen Kaiserzeit wurde er wahrscheinlich Bestandteil des römischen Limes-Systems. Zwischen dem 3. Jh.v.Chr. und dem 3. Jh.n.Chr. erfolgte eine intensive Aufsiedlung der Zitadelle, die im Grabungsabschnitt Westhang der Zitadelle abgebildet wird. Zeitgleich erfolgte eine Besiedlung der Unterstadt I, deren jüngste Aufwohnung durch ein Kastell markiert wird. Die Unterstadt II wurde jetzt als Gräberfeld genutzt, dessen Zentrum im Bereich des Grabungsabschnitts Mittlere Unterstadt II gelegen hat, in dem 647 Gräber ausgegraben wurden. Die Bautradition und die überwiegende Anzahl der Fundobjekte legen den Schluss nahe, dass der jetzt Magdala genannte und von einer grundständigen Bevölkerung bewohnte Ort in einer mesopotamisch geprägten Kulturtradition verharrte.
Ausschnitt aus der Karte BIV10 des „Tübinger Atlas des Vorderen Orients“ mit freundlicher Genehmigung des Verlags Dr. Ludwig Reichert, Wiesbaden.
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